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Kaufmann, R. , Warum ich sieben Bücher schrieb.


D|R|I WILLY OBRIST DEVELOPMENT RESEARCH INSTITUTE

Rolf Kaufmann, 2022


Warum ich sieben Bücher schrieb


Im Folgenden erzähle ich zuerst, wie meine Bücher entstanden, und dann gehe ichnäher auf den Prozess ein, der sich dabei in mir abspielte (BE: Bewusstseins-Evolution). 1. Entstehung der Bücher In meiner ersten Lebenshälfte, als liberaler Pfarrer der reformierten Zürcher Landeskirche, war ich oft von frühmorgens bis spätabends mit Menschen im Gespräch, mit Kindern und Jugendlichen, Erwachsenen und Betagten, mit Gesunden und Kranken, Fröhlichen und Traurigen, Reichen und Armen, im Unterricht und in der Erwachsenenbildung, in der Seelsorge, im Gottesdienst, bei Hochzeitsfeiern, Abdankungen etc.. Die Kirche war eine Volkskirche, und die damit verbundene Vielfalt sagte mir zu. Ich war ausgelastet und hatte kein Bedürfnis, ein Buch zu schreiben; ich hatte auch nichts Besonderes zu sagen. Zum Bücherschreiben kam ich eher wie die Jungfrau zum Kind. Es begann mit der Weiterbildung am C. G. Jung-Institut in Zürich, wo ich zum Abschluss (1978/79) eine Diplomarbeit zu schreiben hatte. Das Thema war frei. Intuitiv wählte ich die Bekehrungs-Vision des Apostels Paulus, die ich konsequent tiefenpsychologisch und im Sinn der von Obrist entdeckten Mutation des Bewusstseins zu erklären gedachte: Als Pharisäer sah Saul das Heil in der lückenlosen Erfüllung des väterlichen Gesetzes; die Anhänger Jesu, die das Gesetz relativierten, verfolgte er mit aller Härte. Während des Kampfs gegen die sog. Gotteslästerer wurde Sauls Position innerlich ausgehöhlt. Doch das wollte er nicht wahrhaben; er blieb fanatisch bei seinem Standpunkt. Nun unterwanderten die gegnerischen Argumente die eigenen Schlachtreihen und verbündeten sich insgeheim mit seinem Selbst. Dieses pulverisierte schliesslich Sauls Glauben ans Gesetz mit einer übermächtigen Vision, die ihn von der Fixierung aufs Gesetz befreite. Fortan lebte er „aus der Gnade“, wie er sagte, „in der Freiheit in Christo“. Die Vision bewirkte eine psychische Spontanheilung: Sauls Über-Ich, dem Gesetz hörig, wurde entmachtet, und das in ihm schlummernde geistige Potential des Selbst wurde frei zur weiteren Entfaltung. Die Vision erfolgte auf Druck des angeborenen Entwicklungsprogramms; sie war ein natürlicher Vorgang, nicht ein Eingriff des Jenseits, wie Saul glaubte (doch er konnte noch nicht wissen, was wir heute wissen: dass die unbewusste Psyche im archaisch-mythischen Zeitalter an den Himmel projiziert wurde). Die Vision befreite Saul vom infantilen Glauben ans Gesetz zur reiferen, eigenständigeren „Freiheit in Christo“. Aus dem persönlichen Entwicklungsschritt wurde später, infolge der Berühmtheit des Apostels, ein kultureller Fortschritt und zuletzt sogar ein Schritt der BE: Christen durften das Gesetz relativieren, und diese Freiheit förderte die Entstehung der Neuzeit. Sauls Bekehrung krempelte sein Leben total um. Er kämpfte nun als Apostel Christi in den Reihen der einstigen Todfeinde. Diesen war er wegen seiner unheimlichen Kehrtwende und wegen seines Übereifers nie ganz geheuer. Die alten Freunde aber, die Pharisäer, schworen ihm Rache und liessen ihn mehrmals als Gotteslästerer auspeitschen. So erlitt er am eigenen Leibe, was er zuvor seinen Feinden zugefügt hatte.


Ich meinte, ich habe nun genug geschrieben. Doch nach einer Weile erhielt ich einen Brief vom Lektor des Walter-Verlags, der in den Diplomarbeiten des Instituts gestöbert und an der meinen Gefallen gefunden hatte. Er fragte mich, ob ich bereit wäre, meine Arbeit in ein Buch umzuschreiben. Das tat ich gerne, nicht nur, weil ich mich geehrt fühlte, sondern auch, weil ich erfahren hatte, dass das Schreiben mir gut tat. Auch ich war ja ein Tüchtiger, der auf der Hut sein musste, nicht allzu tüchtig zu werden. Ich stiefelte den Vers zusammen: „Tüchtig zu sein, das ist schon recht, allzu tüchtig, aber schlecht.“ Das Schreiben hatte mich hellhörig gemacht für das Problem der Tüchtigkeit. Damit konnte ich die Midlife-Crisis umschiffen. Ich sah, dass ich im selben Boot sass wie der Apostel: Beide lösten sich vom Kollektiv und bauten eine eigene Beziehung zum Selbst auf. Der grosse Unterschied lag darin, dass Paulus vor der Mutation lebte, ich aber danach. Der Titel des Buches sollte lauten: „Der Apostel auf der Couch.“ Doch der Vorschlag missfiel den Verkäufern, die monierten, ihr Verlag sei ein seriöses Unternehmen, das den guten Ruf nicht mit reisserischen Titeln aufs Spiel setzen wolle. Der zweite Vorschlag fand Anklang: „Die Krise des Tüchtigen - Paulus und wir im Verständnis der Tiefenpsychologie.“ Da sich das Buch verkaufte, fragte mich der Verlag nach einer Weile um ein weiteres an. Als Thema wählte ich das Apostolicum, die alte, archaisch-mythische Zusammenfassung des christlichen Glaubens. Ich wollte zeigen, was eine konsequent tiefenpsychologische Auslegung bringe. Der Titel sollte heissen: „Der christliche Mythos in unserer Zeit.“ Das missfiel den Verkäufern abermals. Sie wandten ein, der christliche Glaube sei kein Mythos; das lasse sich nicht verkaufen. Nun war guter Rat teuer: Ich wollte Klartext reden; doch das Kind durfte nicht beim Namen genannt werden. Ingrid Riedel fand schliesslich einen Kompromiss: „Das ewig Christliche - Glaubensbekenntnis und Mythos.“ Beruflich bekleidete ich das Pfarramt für Lebensberatung in einer grossen Kirchgemeinde. Zur einen Hälfte war ich Allround-Pfarrer, zur anderen Psychotherapeut und Meditationslehrer. Das Amt war auf mich zugeschnitten. Ich war rundum zufrieden - bis die Stelle des Studienleiters im Meditationszentrum „Kloster Kappel“ frei wurde. Ein Traumjob! Ich konnte nicht widerstehen, meldete mich und hatte Erfolg. Meine „Gemeinde“ bildeten fortan religiös Interessierte aus der ganzen Schweiz, denen ich Jungs und Obrists Entdeckungen vermitteln durfte. Welche Chance! Die Seminare, die ich mit Obrist erteilte, fanden Anklang, auch die Meditationskurse: „Geerdete Spiritualität“, die meine Frau und ich gaben. Nun ging etwas, und der Benziger-Verlag bat mich um eine tiefenpsychologische Deutung der Hölle. Ich schrieb das Buch: „Die Hölle - eine neue Reise in die Unterwelt.“ Neu war die konsequent symbolische Deutung der Unterwelt und deren Integration in den Alltag. Stets Sonnenschein: Zu schön, um wahr zu sein? Infolge eines Wechsels an der Spitze der Kirche zogen Wolken auf. Der nachfolgende Präsident war ein konservativer Theologe, dem meine Einstellung ein Dorn im Auge war. Dazu kam, dass ich in einem „gesamtkirchlichen Dienst“ arbeitete, in einem seiner Schaufenster, das er nach seiner eigenen Überzeugung gestalten wollte. Da ich für ihn nicht Theologie, sondern Psychologie trieb, musste er zum Rechten sehen. Er löste das Problem, indem er meine Stelle wegrationalisierte. Unversehens stand ich auf der Strasse, musste eine neue Wohnung suchen und „stempeln“ gehen. Zumindest war ich nicht auf dem Scheiterhaufen gelandet. Der Rausschmiss öffnete meiner Frau und mir die Augen: In der Begeisterung für Jungs und Obrists Entdeckungen hatten wir die Macht der Neophobie unterschätzt. Nun stellte sich die Frage: „Ist noch Platz für uns in der Kirche?“ Wir kamen zur Einsicht, es sei nicht der Fall; denn die Mutation hatte uns, nicht die Kirchenleitung verändert. Den Austritt gaben wir an der Schwelle zum 3. Jahrtausend, am Todestag des Reformators Ulrich Zwingli, am 11. Oktober 1999. Unseres Erachtens war die Kirche nicht gerüstet für das dritte Jahrtausend. Sie stand nicht mehr - wie einst! - an der Spitze der BE. Als ein Zeichen für die Richtigkeit des Entscheids betrachteten wir den Umstand, dass wir stets gut schliefen, ganz ohne Narkotika. „Ein gutes Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen.“


Vom inneren Kampf dieser Jahre zeugen zwei Bücher. Das erste: „Das Gute am Teufel - eigenen Schattenseiten und Abgründen begegnen.“ Das zweite: „Die Eulenfrau.“ Es war reich bebildert und enthielt 26 Träume meiner Frau, von der Künstlerin Elisabeth Fux kongenial gemalt. Ich steuerte einige tiefenpsychologische Kommentare bei. In einem der Träume schenkte der Teufel meiner Frau und mir Flügel zum Genuss der neuen Freiheit! Die Träume waren nicht unschuldig an unserem Kirchenaustritt. 1998 verfasste ich das Büchlein: „Zazen und Kinhin im Kontext unserer Kultur.“ Schon seit fast drei Jahrzehnten erteilte ich Zen-Kurse; ich reduzierte die Meditation auf ihren Kern: „Aufrecht dasitzen und auf den Atem achten.“ Durch die Reduktion auf das Archetypische ergab sich, dass alle Menschen - Buddhisten, Christen, Muslime, Atheisten, Skeptiker, New Age-Anhänger, Agnostiker etc. - problemlos zusammen meditieren konnten. Das war der Beweis dafür, dass die Mutation - erstmals in der Menschheitsgeschichte! - zu echter Toleranz führt. Wenn alle die Mutation nachvollziehen, verschwinden die Religionskriege. Doch bis es so weit ist, wird noch viel Wasser die Flüsse der Welt hinab fliessen. 2006 folgte das Lexikon: „Alte und neue Religiosität - ABC einer Metamorphose.“ 2010 veröffentlichte ich bei opus-magnum eine Deutung dreier Träume von C. G. Jung: „Am Puls der Evolution.“ Unter dem Eindruck einer Vision fasste Jung im Alter den „Himmel“ nicht mehr nur als innere, sondern auch als äussere Realität auf. Diese partielle Regression in die archaisch-mythische Phase der BE schmälerte seine Verdienste aber nicht. Mit der Entdeckung der Mutation des Bewusstseins brachte Willy Obrist das Lebenswerk von C. G. Jung auf den Punkt. Nun gab es keine archaischen Überbleibsel mehr. 2015 verfasste ich noch: „Monotheismus - Entstehung, Zerfall, Umwandlung.“ Nun hatte ich das Gefühl, das Wesentliche zur Mutation gesagt zu haben. 2. Der innere Prozess Meine Bücher spiegeln den durch die Mutation bedingten religiösen Wandel wieder: „Von der jenseitsbezogenen Kollektiv-Religion zur natürlichen, individuellen Spiritualität.“ Oder: „Vom archaisch-mythischen, dualenWeltbild zur integralen, unikalen Ansicht vom Sein.“ Erfasst von der Mutation, schrieb ich mich aus dem christlichen Glauben hinaus, hinein in die geerdete, natürliche, allgemeinmenschliche Spiritualität. Halb zog es mich, halb führte ich. Für mich war der Prozess etwas, das mir widerfuhr, das ich aber auch selber gestaltete; das Unbewusste und das Bewusstsein arbeiteten Hand in Hand. Die Entdeckungen von Jung und Obrist hatten die Mutation meines Bewusstseins angestossen und mich mit dem Stoff meiner Bücher geschwängert. Während aber Maria, die Jungfrau, vom jenseitigen Geist schwanger wurde, war bei mir der diesseitigeGeist der BE am Werk. Er führte mich zu mehr Bewusstheit, Freiheit und Ganzheit. Ich sah mich als einen eigenständigen Boten der Pioniere Jung und Obrist, deren Entdeckungen ich mir aneignete und in meiner Sprache wiedergab. Das Schreiben förderte die Bewusstwerdung und gab dem Leben einen Sinn. Es bettete mich ein in den Strom der BE. Einzelne sind nur Tropfen darin. Wenn sie sich aber bemühen, die Mutation selber nachzuvollziehen, kommen sie in Tuchfühlung mit dem Geist der Evolution. Diesen können wir intuitiv erahnen, aber niemals ganz verstehen. Die Tuchfühlung mit dem Sein verleiht unserem Leben Sinn. Das Sein ist ein Paradox: Es ist das allernächste Du und gleichzeitig das grosse Unbekannte… Warum ich sieben Bücher schrieb? Als junger, liberaler Pfarrer suchte ich intensiv nach einer zeitgemässen Spiritualität. Den Weg dahin öffneten mir Jung und Obrist. Auf diesem Weg entstanden die sieben Bücher. Dabei vollzog sich die Mutation meines Bewusstseins.


Über den Autor Rolf Kaufmann, geb. 1940 in Zürich, ist Theologe und Psychotherapeut. Er erwarb sich am Jung-Institut das Diplom als Analytischer Psychologe. Neben der psychotherapeutischen Praxis war er Zen-Lehrer und Erwachsenenbildner. Er ist Freitodbegleiter bei Exit und Dozent am ISAP Zürich, dem Internationalen Seminar für Analytische Psychologie. Er schrieb sieben Bücher zum Thema:„Zeitgemässe Spiritualität.“


Anschrift: Rolf Kaufmann, Zeltweg 9, CH-8032 Zürich.



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